Rotraud A. Perner | Goldenes Ehrenzeichen Wien

Überreicht am 22. Februar 2010 durch Vizebürgermeisterin Mag. Renate Brauner

Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens des Bundeslandes Wien
Dankesrede

Wenn ich mich heute für das Goldene Ehrenzeichen des Bundeslandes Wien bedanken darf, möchte ich festhalten, dass es eine echte Überraschung für mich darstellt: Ich habe nicht damit gerechnet, je von Wien eine Auszeichnung zu erhalten. Ich gelte ja als „zickig“, wenn es um Ehrrungen geht: den Protzring, den BezirksrätInnen bekommen, wenn sie aus der Bezirksvertretung ausscheiden, habe ich, nachdem ich 1987 nach drei Amtsperioden – vor allem auch als Landtagskandidatin – nicht mehr kandidieren mochte, abgelehnt: es war MIR eine Ehre, mein Wissen und Können für Favoriten einsetzen zu dürfen. Ich kann mich noch genau erinnern, welche Irritationen ich mit dem Wunsch ausgelöst habe, den Gegenwert des Ringes Sozialeinrichtungen zugute kommen zu lassen…

Auch das Goldene Verdienstzeichen habe ich abgelehnt, weil meine „Verdienste“ für Wien – die Aufbauarbeit des Club Bassena mit seinen „Filialen“, die Gründung mehrerer Beratungsstellen (Familienberatungsstelle Favoriten, 2 Sexualberatungsstellen) und Vereine (Möwe, Promethea), die Gründung der Berufsgruppe der Lebens- und SozialberaterInnen und vor allem die Erfindung der heute noch europaweit einzigartigen umfassenden Ausbildung in alle Aspekte umfassender Sexualberatung für die Wiener Internationale Akademie für Ganzheitsmedizin – hier möchte ich vor allem dem ehemaligen Gesundheitsstadtrat Univ. Prof. Alois Stacher danken, der mich und meine Vorhaben immer weit blickend unterstützt hat – und die unzähligen Vorträge und Seminare, die ich in Kindergärten, Schulen, Volkshochschulen, der Verwaltungsakademie der Stadt Wien aber auch im Rahmen meiner Partei, der ich nunmehr 43 Jahre angehöre (und wenn ich VSM und VSStÖ dazu zähle, sogar 55 Jahre!) gehalten habe – da ja schon lange zurück lagen. (Denn eigentlich hätte ich schon in den 1970er oder 80er Jahren einen Erwachsenenbildnerpreis erhalten müssen … aber da ich von meinem im Vorjahr verstorbenen Ehemann wusste, dass man sich darum sehr aktiv bei den richtigen Leuten „beliebt“ machen muss, ich aber Analakrobatik immer abgelehnt habe, war mir klar: ich bekomme da sicher nichts.

Außerdem habe ich – und nicht nur ich – beobachtet, dass Personen, die nicht hierarchisch in Institutionen eingebunden und daher „abschätzbar“ sind, kaum in ihrer Fachkompetenz eingeladen geschweige denn geehrt werden. Ich habe das in meinem Buch „Königin! Über weibliche Kraft“ thematisiert. So habe ich beispielsweise nach meinem Ausscheiden als Projektleiterin im Verein Jugendzentren der Stadt Wien keinerlei Einladungen zu Fachtagungen mehr bekommen – nicht als „Publikum“ und schon gar nicht als Keynote Speaker. Ich habe mir damals gedacht – ohne mich mit diesem geistigen Giganten messen zu wollen: Sigmund Freud ist es in Wien ja auch nicht viel besser gegangen …

Dass Du Frau Vizebürgermeisterin, liebe Renate, mich für diese Ehrung eingereicht hast, habe ich meinem zweiten Pensionsantritt zugeordnet; mit 60 habe ich ja das erste Mal diesen Schritt versucht und meine Lehrtätigkeit an der Universität Wien – und damit die erstmalige Verankerung von Gewaltprävention in einem österreichischen Hochschulstudium, danke Professor Friedel Oswald, der dies ermöglicht hat! – und meine Funktion als Gerichtssachverständige aufgegeben und bin in meine Heimat, ins Marchfeld, rückgekehrt (meine Wiener Praxis habe ich aber behalten). Dann wurde ich zur Kooperation mit der Niederösterreichischen Landesakademie eingeladen und konnte plötzlich vieles von dem verwirklichen, wo ich in Wien vermutlich der Zeit voraus – zu weit – voraus war. Und es kam die Berufung an die Donau Universität Krems und der Aufbau eines Lehrstuhls für Prävention und Gesundheitskommunikation. (Meine Wiener Praxis habe ich aber dennoch immer noch behalten). Jetzt konnte ich das realisieren, was mir immer das wichtigste Anliegen war und was sich als roter Faden durch meine bisher 38 Fachbücher durchzieht: schwierigen Situationen, vor allem aber auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen – und da meine ich vor allem sozial behinderte Menschen, deren Bedürfnisse auf Dominanz, sexuelle Domestizierung, aber auch Schädigung, Rache und sozialen Mord zielen – egal ob im Beruf und Privatleben mit wertschätzender, gewaltverzichtender aber auch humorvoller und damit salutogener Kommunikation entgegen zu kommen und nicht mit Hohn, Hass, Verleumdung oder Vernichtung. Ich weiß, dass ich damit nicht im Mainstream schwimme – heute gilt man ja was, wenn man einen möglichst spöttischen Sager von sich gibt; mir geht es aber nicht um Infotainment – mir ging und geht es um sachliche Klärung und Aufklärung. Also bleibe ich Quer- und Vorausdenkerin und ziehe mich in den Kreis derjenigen zurück, die ähnlich denken wie ich. Aber ich höre nicht auf zu protestieren und an die Seite derjenigen zu treten, denen ebenso ungerechtfertigt übel nachgeredet wird wie mir.

Was ich an dieser Stelle bei meiner Rede sagen wollte, aber leider das Zitat aus dem Brief Franz Kafkas an Oskar Pollack vom 8. November 1903 daheim vergessen hatte, lautet:

„Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüsstest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen voreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.“

Ich dachte also: jetzt denken halt einige, jetzt ist sie 65, jetzt wird sie wohl Ruhe geben.

Tue ich aber nicht.

Ich habe begonnen, Theologie zu studieren und will mich der Seelsorge widmen. Da kann ich meine Qualifikationen als Juristin, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin, Gesundheitspsychologin, Erwachsenenbildnerin und Sozialtherapeutin kostenlos zur Verfügung stellen ohne unsolidarisch gegenüber meinen BerufskollegInnen zu sein – und das verkündigen, was sich mir in meiner vielfältigen Berufstätigkeit immer wieder gezeigt hat: das einzige, was heilt – Einzelne wie auch die gesamte Gesellschaft – ist Liebe, Verständnis, Bemühen um Verstehen, Gewaltverzicht, auch in der Sprache, und – Geduld.

Mit diesem Anliegen ehre ich mein Andenken an Gertrude Fröhlich-Sandner, der ich mein jüngstes Buch „PROvokativpädagogik“ – das gleichnamige Masterstudium an der Donau Universität boomt – gewidmet habe und an Alfred Dallinger und Christian Broda. Ich habe so ziemlich alle der so genannten Dallinger-Vereine in Wien supervidiert – die GaGa, das Saftbeisl, die Baustatt, das WUK Monopoly, den Verein zur Erforschung von Arbeitslosigkeit durch Arbeitslose … und die Zentralstelle für Bewährungshilfe und etliche ihrer Dependancen, viele Abteilungen in Wiener Krankenanstalten, die Fortbildungsakademie im AKH und die Innerbetriebliche Fortbildung. Ich habe mich bemüht, deren Arbeit fortzusetzen – und auch die Arbeit meiner verstorbenen Freunde, die mich ebenso inspiriert haben: Herbert Tieber, Egon Matzner und Willi Kainrath. (Ich denke oft an diese Zusammenarbeit zurück – und daran, dass der anwesende Rudi Edlinger „Verändert die Stadt“ initiiert hat – und leider nicht Stadtrat für Stadtplanung wurde, das hätte ich mir gewünscht.) Sie sollten nicht in Vergessenheit geraten. Oder Günter Pernhaupt und Hans Czermak. Eigentlich sollte der Bürgermeisterfonds dafür Sorge tragen, dass Medizinhistoriker das Leben und Wirken dieser Pioniere aufarbeiten.

Ich möchte mich aber auch bei den Lebenden bedanken, die mir ebenso Anregung und Anstoß gaben – und deren bahnbrechende Arbeit ebenso längs wissenschaftlich bearbeitet und dokumentiert gehörte: vor allem die Psychoanalytiker Harald Picker und Max Kompein, die unter der Ägide von Fröhlich-Sandner die Wiener Schule der Psychoanalytischen Sozialtherapie entwickelt haben, Ruth Aspöck und Erica Fischer, die die Aktion Unabhängiger Frauen gegründet haben, wo ich von Anfang an dabei war wie auch beim Arbeitskreis Emanzipation der Frau, den Irmtraud Marsch-Gössler-Leirer-Karlsson und Eva Zgraja-Kreisky fast gleichzeitig ins Leben gerufen hatten. Wir alle leben noch – sage ich, die ich vor 10 Tagen einen schweren Autounfall überlebt habe – und gehören dieser heute oft abgewerteten 68er Generation an, von der so viel Impulse zu Mitbestimmung, Gleichberechtigung, Antidiskriminierung und damit Salutogenese – biopsychosozialer Gesundheitsförderung – ausgegangen sind und noch immer ausgehen.

Ich bin mehrfach nach meinem Lebensmenschen gefragt worden. Ich habe keinen. Ich bin eine asketische Eigenbrötlerin, und meine Freunde sind meine Bücher, daher schreibe ich auch selbst viel, denn man muss ja im Freundeskreis präsent sein. Seit zwei Jahren schreibe ich an meiner Biografie – als Roman, ich muss ja vieles verschlüsseln; ich hoffe, dass es mir gelingt, den Zauber Wiens – und dabei natürlich auch den vielbesungenen Schadzauber – so zur Sprache zu bringen, dass mir dieses Ehrenzeichen, über das ich mich sehr freue, nicht abgenommen wird.


 

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