Beziehungen
„Perners Notizen“ in der
„Wiener Zeitung“
Sozialverhalten lernt man in sozialen Beziehungen. Als Kleinkind etwa schaut und hört man sich von den Bezugspersonen ab, wie Ältere mit Jüngeren umgehen = umzugehen haben oder Männer mit Frauen und umgekehrt – Gewaltäußerungen inbegriffen. In der therapeutischen Arbeit erschreckt oft, wie viel Leid hochkommt, wenn erwachsene Männer ihre Verzweiflung herausweinen, wie sie sich als Winzlinge vergebens abgemüht haben, ihre geliebten Mütter vor brutalen Partnern zu beschützen – und ich selbst habe erlebt, wie meine kleinen Söhne oft „aufgedreht“ haben: „Lass meine Mama in Ruh’!“, wenn ich – damals noch Politikerin – in Politauseinandersetzungen angepöbelt wurde.
In meiner Lehrveranstaltung „Didaktik der Gewaltprävention“ an der Universität Wien demonstriere ich künftigen AHS- Lehrer/innen, wie man Beziehungen gewaltfrei gestalten kann – indem man beispielsweise auf Angstmache verzichtet oder auf Demütigungen, angeblich nur um „anzuspornen“, und statt dessen nachfragt, präzise Rückmeldung gibt und Vereinbarungen trifft statt Befehle auszuteilen. Ich zitiere mich selbst: „Sich vertragen heißt Verträge schließen“. Steht in meinem Buch „Schaff’ Dir einen Friedensgeist – Gewaltprävention im Alltag“ (aaptos Verlag).
Vor kurzem habe ich selbst wieder einmal eine beispielhafte Situation erlebt: jemand ist es nicht gelungen, das – unversperrte – Tor des Hauses, in dem ich meine psychotherapeutische Praxis betreibe, zu öffnen, als ich gerade aus dem Haus gehen wollte. Kaum war ich draußen und einige Schritte gegangen, rief mir eine Frau in scharfem Ton nach: „Machen Sie sofort das Tor auf! – bitte.“ Ich blieb stehen, drehte mich um und sagte: „Nein …“ und setzte freundlich nach: „Was fällt Ihnen denn ein, im Befehlston mit mir zu sprechen?!“ Die Frau darauf, „pappig“: „Ich habe doch ohnedies ,bitte’ gesagt – aber „bitte“ hören ja Leute in Ihrem Beruf nicht!“ Auf eine Rückantwort, etwa „Noch einmal ein Untergriff!“, habe ich bewusst verzichtet. Ich dachte mir: wie so viele Menschen war es dieser Frau – die ungefähr mein Alter hatte – nicht möglich, eine echte Bitte zu formulieren. Die hätte nämlich gelautet: „Können Sie mir bitte das Tor aufsperren?“ Dann hätte ich gesagt: „Nicht nötig – es ist offen. Sie brauchen nur fest zu drücken!“ und hätte weitereilen können. Wäre es versperrt gewesen, hätte ich nachgefragt: „Zu wem wollen Sie denn?“ Denn ich weiß aus meiner Zeit als Juristin bei Gericht, wie viele Menschen mit bösen Absichten geduldig warten, bis sie jemand in versperrte Häuser einlässt, in die sie diejenigen, die sie heimsuchen wollen, sicherlich nicht freiwillig hereinlassen wollten.
Genau diese Unfähigkeit oder Unwilligkeit, Beziehung partnerschaftlich – ohne Dominanzanspruch – zu gestalten, findet sich oft, wenn jemand vermeint, auf Grund des Geschlechts oder höheren Alters, dem Status als Einheimische/r oder einfach nur „Sesshafter“ und darüber hinaus materiell oder geistig Vermögenderer Macht über andere beanspruchen zu dürfen. Und das in einem Land, in dem eine große Zahl von Einwohner/innen sich zum Christentum bekennen, das bekanntlich den Anspruch beinhaltet, immer auf der Seite der Unterdrückten zu stehen. Und nicht nur theoretisch, sondern wirklich: in Beziehung.
Österreicher kennen „Beziehung“ eher in einem anderen Sinn, scherzte Peter Huemer anlässlich der Präsentation des Buches „Am Anfang war Beziehung: Gertraud Knoll über Glauben, Amt und Zivilcourage“ (Wichern Verlag). Ohne Beschönigungen zeigt darin die burgenländische Superintendentin, wie sie das Miterleben elterlicher Streitigkeiten aber auch die Erfahrung von Ignoranz und Diskriminierung in der evangelischen Gemeinde, der sie als Jugendliche angehörte, dazu brachte, sich gegen oberflächliches Vernachlässigen und vorurteilshaftes Verdammen und für offenes Zugehen auf Konfliktpartner und Bemühen um Verständnis zu engagieren. Mutig, hab’ ich mir gedacht – aber dass sie das ist, weiß man ja von Gertraud Knoll.