Attentate

"Perners Notizen" | Wiener Zeitung

„Perners Notizen“ in der
„Wiener Zeitung“

Die Staatsanwaltschaft habe gegen den Betrunkenen, der „zielstrebig“ mit einer Geflügelschere auf den früheren CDU–Vorsitzenden Wolfgang Schäuble zugesteuert sei, Haftbefehl wegen versuchten Totschlags beantragt, stand vor wenigen Tagen in der Tagespresse zu lesen.

Schon wieder ein körperlicher Angriff auf den Exminister, werden sich da einige gedacht haben! Und: gut, dass seine Bodyguards rasch und richtig reagiert haben! Mich hingegen beschäftigt schon lange die Frage, was es ist, dass bestimmte Menschen als Zielscheibe für offensichtlich nicht politisch motivierte Attentate gewählt werden, andere hingegen nicht. Die Begründung „geistige Verwirrung“ allein gibt ja keine ausreichende Antwort – unter dieser Bezeichnung registrieren wir, die „Ordentlichen“, die in „geordneten“ Verhältnissen leben und uns an die Gesellschafts“ordnung“ halten alle die, die diesem Schema nicht entsprechen: wer ohne Plan oder höheres Ziel etwas tut, was unerwünscht, unerlaubt, ja sogar verboten ist, muss ja verwirrt sein – besonders in einem Umfeld, in dem alle von der Sinnhaftigkeit der „Anordnungen“ überzeugt sind.

Gilt das aber auch für die Sinnhaftigkeit von Alkoholabstinenz im öffentlichen Raum? Besonders in Wahlkämpfen?

Manche Parteien setzen ja mit Vorliebe Freibier – liebevoll „flüssiges Brot“ getauft – als Lockspeise ein, um Sympathisanten ins Bierzelt zu keilen … Das hat mehrere Gründe: der offizielle lautet, man müsse Wahlkampfstimmung produzieren, vor allem bei den altgedienten Wahlhelfern, vermute ich, damit die das Gefühl nicht missen müssen, sie bekämen die ihnen gebührende Belohnung für ihre treuen Dienste. Aber geht es nicht inoffiziell um diesen rauschhaften Zustand der Selbstüberschätzung, in dem man nicht mehr sachlich – nüchtern – argumentiert sondern nur mehr andere hinuntergrölt? Wo man hinten nach alle Verantwortung ablehnen kann, es war ja nur „eine b’soffene G’schicht“? Und ganz im Geheimen nutzten immer irgendwelche Seelenkäufer die Abwesenheit kritischer Vernunft von Betrunkenen dazu, Ihnen Unterstützungserklärungen abzuluchsen. Manchmal braucht man aber nicht einmal König Alkohol als Oberbefehlshaber – Politiker verfügen selbst ohne charismatische Begabung heutzutage über genug antrainierte Techniken, Menschen in „geistige Verwirrung“ zu reden …

Nur: ob ein Menschen im klinischen Sinn dement – geistig desorientiert – ist oder psychotisch, insbesondere in der Alkoholpsychose, ob er „ganz gewöhnlich“ rachsüchtig ist oder „nur“ publicitygeil, zeigt erst eine genaue Untersuchung – und da ist meist genug Zeit vergangen, dass sich der Attentäter mit oder ohne anwaltliche Hilfe überlegen konnte, wie er sich aus-reden könne.

Aber wie reden sich die aus, die Politiker als quasi Über-Eltern inszenieren, mit Slogans wie „Ein Politiker zum Angreifen“ doppeldeutige Propaganda betreiben, gleichzeitig aber eine Sphäre illustrer Unnahbarkeit gerade denjenigen gegenüber aufbauen, die sich ohnedies von niemand be- oder geachtet fühlen? Die Politiker als Heilsbringer anpreisen und nicht mit der aggressiven Enttäuschung derjenigen rechnen, die – mit oder ohne biographische Verknüpfung – einst dem lächelnden Gesicht aus der Wohnzimmerglotze vertraut haben und nun ihre Ent-täuschung nach Art der TV-Vorbilder ausagieren?