Krisenbewältigung
„Perners Notizen“ in der
„Wiener Zeitung“
Ende der 80er Jahre, als die verschiedenen Psychoberufler noch um die Konstruktion des „Vier Säulen Modells der psychosozialen Versorgung“ rangen, gab es eine Sitzung des mittlerweile entschlummerten sogenannten „Psychohygienebeirats“, in dem ich als damalige Vorsitzende der Lebens- und Sozialberater Gelegenheit bekam, diese Berufsgruppe als seriöse KollegInnenschaft zu präsentieren. Ich erinnere mich noch genau, wie mich ein prominenter Psychiater – der übrigens die ganze Sitzung auf seinem Minirecorder mitschnitt – mitleidig-höhnisch fragte: „Und traut Ihr Euch auch Krisenintervention zu?“
Damals versteckten sich die wohlausgebildeten PsychotherapeutInnen noch in dieser Untergruppierung der Allgemeinen Innung des Gewerbes. Und auch heute noch wird man in dieser Fachgruppe hochrangige KörpertherapeutInnen finden – denn diese SpezialistInnen sind zwar international, nicht aber in Österreich anerkannt.
Menschen in Krisen adäquat beizustehen, ist eine Kunst, und „Kunst“ hängt mehr mit Können zusammen als mit angelerntem Wissen. Aber das gibt es natürlich auch, und es ist auch nützlich. Zu diesen zweckdienlichen Kenntnissen gehört,
• zu wissen, dass Krisen in – oft lang dauernden – Phasen bewältigt werden: auf die erste Phase der Erschütterung, in der man wie gelähmt erstarrt, folgt die Phase des Nicht-wahr-haben wollens, in der man oft recht kopflos aktiv wird (und daher jemand Vernünftigen braucht, der oder die Struktur ins Chaos bringt), dann stürzt man in Depression, aus der einen Wut und Rachebedürfnisse herausholen, und wenn man diese vierte Phase ohne Fehlhandlungen hinter sich gebracht hat, startet erst der Neubeginn: das schockierende Erleben konnte in die Biographie integriert werden.
• Aus der ersten Erschütterung kommt man leichter heraus, wenn man minuziös erzählen darf, was und wie konkret das Unheil über einen hereingebrochen ist – egal, ob es sich um eine Naturkatastrophe handelt, einen schweren Unfall, eine massives Gewalterleben (z. B. auch eine Geiselnahme) oder auch bloß das „triviale“ des Arbeitsplatzverlustes … oder „nur“ des „Gesichts“ – und wenn jemand da ist mit einem offenen Ohr und einem mitfühlenden Herzen. Allein zu bleiben, kann tödlich sein – immerhin gibt es auch psychogene Tode: wenn einem einfach das Herz stehen bleibt …
• Und aus der Depression hilft eine realistische Zukunftsperspektive. Deswegen ist so wichtig, dass medial berichtet wird, was alles an Hilfsleistungen geplant und vollzogen wird: Sprache suggeriert geistige Bilder, und die sind meist wichtiger als eine audiovisuelle Berichterstattung, die Angst macht – oder den Katastrophentourismus der „Herrn Karls“ fördert: „Du bist’s net, Karl …“
Krisen bewältigen wir alle, auch die Helfer, auch die sogenannten Unbeteiligten, indem das schockierende Erleben verbal erinnert, gefühlsmäßig wiederholt und „durch-gearbeitet“ wird: Man muss die Stresshormonausschüttungen, die man in den Zellen gespeichert hat, im wahrsten Sinn des Wortes aus-drücken. Sonst bleiben sie in einem drinnen, führen zu „Flash Backs“ (blitzartigen Gedächtnisfetzen), Phobien, Zwangshandlungen, Ticks … oder blockieren einen durch unbewusste Vermeidungsstrategien. Landflucht etwa.