Rotraud A. Perner
Provokationen mit PROvokation beantworten
Vom Lachen, Lieben und Lehren.
In der Studie des Instituts für Stressprophylaxe & Salutogenese (ISS) zur Stressbelastung von Lehrkräften, veröffentlicht als Buch unter dem Titel „Mut zum Unterricht“ (Herausgeberin Rotraud A. Perner, aaptos Verlag, Matzen 2008), kam deutlich zum Ausdruck, dass gegenüber früher 2–3 „Störenfrieden“ in einer Klasse deren Zahl in den letzten 10–15 Jahren auf die Hälfte bis zwei Drittel angewachsen war.
Forderungen nach mehr Begleitunterricht durch Beratungslehrkräfte, neue schulpsychologische Dienstleitungen, Einsatz von Sozialarbeitern an Schulen, mehr Psychotherapie für Kinder (und ihre Eltern) wurden laut. Und: „Wir können doch nicht zusätzlich zum Unterricht psychische Stützarbeit leisten!“ lautete der Tenor der Lehrerklagen.
Nein – zusätzlich nicht. Aber parallel, integriert. So wie es die Absolventenschaft der Ausbildung in „Psychoanalytischer Sozialtherapie“, die Mitte der 1970er Jahre im Rahmen der Kinder- und Jugendarbeit des Bundeslandes Wien konzipiert, realisiert und unterrichtet wurde, in ihren Berufsfeldern taten: in Heimen und sozialtherapeutischen Wohngemeinschaften (wie der Begründer dieser Methode, Harald Picker), in sozialtherapeutischen und soziapädagogischen Instituten (wie zB Karl Weninger), in Projekten für Schulabbrecher (wie zB Max Koch), aber auch in Schulen (zB Richard Felsleitner) oder ich in meiner Führungsfunktion im Verein Jugendzentren der Stadt Wien.
„Verhaltensoriginelle Schüler brauchen verhaltensoriginelle Lehrer“, lautete daher mein Motto, als ich das Masterstudium „PROvokativpädagogik“ an der Donau Universität Krems konzipierte, mit dem Ziel, die Methoden der Psychoanalytischen Sozialtherapie und andere Tools aus der Arbeit mit sozial unangepassten Menschen für den Unterricht nutzbar zu machen.
Wesentlicher Kern dieses reformpädagogischen Ansatzes besteht darin, Unbotmäßigkeiten nicht als Kampf- sondern als Spielangebot zu definieren, sowie Methoden zu beherrschen, sowohl die individuelle wie auch kollektive Stimmung in der Klasse (dem Heim, der Justizanstalt etc.) salutogen – die Gesundheit aller fördernd – zu verändern. Statt dem Kampfgeist soll eine Geist des Miteinander herrschen – und statt dem Vernichtungswillen das befreiende Lachen.
Seitdem die computergestützte Gehirnforschung (vgl. die Bücher von Joachim Bauer, Manfred Spitzer und Gerald Hüther) nachweisen konnte, wie sich Stimmungen über die so genannten Spiegelnervenzellen „fortpflanzen“, fällt es leichter, diesen „Ansteckungsprozess“ zu stoppen: Indem man sich ganz anders verhält als üblich. Üblich ist im Sinne von Talion – dem ältesten Prinzip einer Ethik des Umgangs mit unerwünschtem Verhalten – Gleiches mit Gleichen zu vergelten. Unbewusst, daher blitzschnell. Vorbilder dazu gibt es zu Tausenden in den allabendlichen Actionfilmen und Computerspielen. Und wir lernen bekanntlich am Vorbild – ahmen es nach, oft auch nur, um herauszufinden, wie der andere „tickt“. Was fehlt sind Erklärungen und breite Aufklärung. Und die wird nur wirksam, wenn sie pädagogisch effizient gestaltet wird. Gewalt – und bestünde diese auch nur im Verstärken der Stimme zum Schreien – ist dazu selten dienlich. Sie schädigt nur die Gesundheit – der Schreienden wie der Angeschrieenen. Auch das wissen wir seit den bildgebenden Untersuchungsmethoden der Neurophysiologen.
Die Gegenstrategie heißt Bewusstheit und Bewusstmachen der Kommunikationsprozeduren – nicht nur der der anderen, dies löst vielfach nur Widerstand gegen die Besserwisserei aus, sondern der eigenen.
PROvokativpädagogik basiert auf dem Dialog nach Martin Buber und David Bohm – nicht zu verwechseln mit dem Alltagsdialog, der unstrukturierte Diskussionen tarnt – auf der intuitiv-linguistischen Integrationsmethode (ILI®) nach Perner und deren Entsprechungen in andere Kulturen, paradoxe Interventionen inbegriffen. Deswegen besitzen interkulturelle Problemlösungsmethoden hohen Stellenwert in diesem Ansatz, der sich fest auf den Konstruktivismus eines Humberto Maturana oder Heinz v. Förster gründet.
Vielen Lehrkräften ist bei der Verteufelung ihres Berufsstandes das Lachen vergangen. Diese Dämonisierungen bestehen nicht erst seit der Formulierung von den „Feinden“ der „talentierten“ Schüler; sie reichen zurück bis in die 1970er Jahre. Der Geist, der durch solche „Beschwörungen“ in die Welt gesetzt wird, hilft nicht, Schüler-, Lehrer- oder Elternschaft respektvoller, kooperativer, verständnisvoller oder gar glücklicher zu machen. Er trennt, verhärtet, verfeindet. PROvokativpädagogik versucht, die Absurdität solch missglückter Verbesserungsversuche erlebbar zu machen – wie einst Johann Nestroy oder heute auch Bernhard Ludwig.
Das wesentliche Rüstzeug dabei ist eine stetig verlässliche wertschätzende Heiterkeit – nicht Spott und Hohn, nicht Zynismus oder gar Verbalaggression. Dazu braucht es Modelle – denn die meisten Menschen halten sich für respektvoll und sind erst entsetzt, wenn man ihnen Videoaufzeichnungen ihres eigenen Verhaltens vorspielt. Dazu braucht es aber auch die wissenschaftliche Fundierung, zu wissen, was man tut (abwehrt oder anpeilt), warum man es tut, warum man auf Erfolg vertrauen kann – und wie man all dies bei Nachfrage skeptischen Menschen erklärt, egal ob sie Schüler, Kollegen oder Eltern sind.